Projekt Pitantorilla

Die jetzige soziale und wirtschaftliche Lage in Bolivien hat zur Folge, dass das Projekt für die Zukunft anderst aufgestellt werden muss. Die folgenden Beschreibungen beziehen sich auf die bisherige Durchführung. In Kürze aktualisieren wir diese Homepage für Sie an die neue Realität.

Das Landhaus Pitantorilla ist ein Internat auf dem Land in der Nähe von Sucre, der Hauptstadt Boliviens. Dabei ist der Begriff „Internat“ nicht zu verwechseln mit einer teuren Privatschule. Es handelt sich um ein Erziehungszentrum für Kinder und Jugendliche, die auf dem Land leben.
Viele der auf dem Land lebenden bolivianischen Familien sind arm. Um das Nötigste zu Hause zu haben, muss jeder bei der Arbeit auf dem Feld oder bei der Hausarbeit mit anpacken. Dabei bleibt kaum Zeit noch Geld für die Schule oder eine andere Ausbildung.

Das ist der Punkt, an dem das Projekt ansetzt.

Begründet wurde das Internat Pitantorilla von Pater Luis Redondo (der auch aus seiner Zeit als Pfarrer in Frauenfrieden bekannt ist). Die Jugendlichen können für einen geringen Betrag das Internat besuchen, werden im Dorf Pitantorilla in Grundschulfächern unterrichtet und bekommen Frühstück, Mittag- und Abendessen.

Nicht zuletzt haben die Schüler die Möglichkeit, in den verschiedenen Werkstätten im Haus zu arbeiten. Die vier Werkstätten – Metallbearbeitung, Schreinerei, Landwirtschaft und Näherei – ermöglichen es den Schülern, sich auf eine berufliche Zukunft außerhalb der Feldarbeit vorzubereiten. Neben den Werkstätten haben die Schüler die Möglichkeit, vielen anderen Interessen nachzugehen, zum Beispiel auf dem Sportplatz Fußball oder Basketball zu spielen oder den Lehrern bei der Pflege von Tieren und Pflanzen zu helfen.

Die Ernteerzeugnisse werden zum großen Teil für die eigenen Mahlzeiten verwendet oder in Sucre verkauft. Die Jugendlichen haben auch die Möglichkeit, während der Schulferien im Internat zu bleiben, wenn sie von weit her kommen. Durch diese Einrichtung bekommen die Schüler nicht nur eine solide Ausbildung, um einem Beruf nachzugehen und damit ihre Familie zu unterstützen. Der Schulabschluss wurde mittlerweile auch von den staatlichen Behörden anerkannt.

Der Schulabschluss ermöglicht den Jugendlichen eine weiterführenden Ausbildung oder sogar ein Studium an der Universität! Das dämmt nicht nur die Landflucht ein, sondern reduziert zugleich die Abhängigkeit der Bevölkerung von finanzieller Hilfe aus dem Ausland.


Darüber hinaus hat sich das Haus Pitantorilla vor ein paar Jahren für externe Besucher geöffnet und steht jetzt auch naturbegeisterten Touristen offen.

Nach über 20 Jahren kann man schon auf so manche Erfolge zurückblicken. So wurde einer der ehemaligen Schüler Bürgermeister in seinem Heimatdorf und versucht dort, ein ähnliches Projekt wie das Internat Pitantorilla aufzubauen.

 

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Padre Luis

Wir gedenken Padre Luís Redondo Diez OSST
Priester in Frauenfrieden von 1987 bis 1994
Gründer und Motor unseres Partnerprojektes Pitantorilla in Bolivien
 
 
Predigt von Bruno Pockrandt im Gedenkgottesdienst für + P. Luís Redondo Diez OSST am 16. Dezember 2022
 
Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen,
wir werden durchnässt 
bis auf die Herzhaut.
Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht,
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten,
der Wunsch, verschont zu bleiben,
taugt nicht.
Es taugt die Bitte,
dass bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe.
Dass die Frucht so bunt wie die Blüte sei,
dass noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden.
 
Diese Verse, liebe Trauergemeinde, hätte Hilde Domin für unsere Situation, für unsere Zusammenkunft in diesem Gedenkgottesdienst heute Abend schreiben können, da wir von Pater Luís Redondo Díez Abschied nehmen und unserer Trauer Ausdruck geben wollen. Da ist einer von uns gegangen, der in vielfältiger Hinsicht ein Besonderer war, ein Mensch mit einem großen Herzen, einem tiefen Glauben, einer unüberwindlichen Hoffnung, unermüdlicher Arbeitsbereitschaft und ein Mann der großen Wege.
 
Als ich Luís kennenlernte, saß er bei einem Gespräch mit seinem leiblichen Bruder Eusebio, dem damaligen Leiter der Spanischen Gemeinde Frankfurt, mir gegen-über. Er sprach damals noch kein Deutsch, ich noch kein Spanisch. Und ich erinnere gut, wie er mir zulächelte. Dieses Lächeln war mehr als eine oberflächliche Gepflogenheit, so durfte ich in der Folgezeit erfahren, es war seine unverkennbare Eigentümlichkeit, die Signatur seiner Art zu leben und den Menschen zu begegnen. Auf Augenhöhe, nicht von oben herab, zugewandt in auffälliger Entsprechung zu den Worten des Philipperhymnus, die wir gehört haben: ohne Ehrgeiz und Überheblichkeit, indem er einer von uns war. Luis hatte verinnerlicht, dass Gottes Zuwendung in der Kenosis, der Bewegung von oben nach unten und an die Ränder geschieht, von Jesus exemplarisch vorgelebt. Ich weiß noch, wie er sich vorstellte bei den so-genannten kirchlichen oder weltlichen Autoritäten. Zumeist sagt er dann - frei von Titel- und Geltungssucht -: „Ja, ich bin Luís.“ So ließ er sich in Überschreitung religiöser, kultureller, nationaler und sozialer Grenzen auf Menschen ein, weckte Vertrauen und wurde zu einem außerordentlichen Menschenfinder, indem er den Rhythmus des jeweils Anderen aufnahm, Wege mitging und so zum Inbegriff des buen compañero wurde, dem Weggefährten, mit dem man auf dem Weg das Brot teilt. Die Jugendlichen, die aus Huaraz zu Gast waren, haben nicht geglaubt, dass er der Pfarrer sei und ein Unbeteiligter hätte bei Gemeindeveranstaltungen Luís, der überall mit anpackte und sich für nichts zu schade war, gut und gern für den Hausmeister halten können. Ich werde nicht vergessen, wie er sich, längst bevor das zu einer verbreiteten Haltung sich entwickelte, zu den Kleinsten und Schwächsten, den Kindern beugte, um ihnen auf deren Ebene zu begegnen. Auf diese Weise hat er sich so wohltuend von vielen Angehörigen des Klerikerstandes unterschieden, die noch immer die Kirche für ein Feudalsystem halten statt sie als Weggemeinschaft zu erkennen. 
 
Als Angehöriger des spanischen Trinitarierordens war er sich des Programms Jesu in der Nazaretproklamation, die wir im Evangelium gehört haben, sehr bewusst, dass nämlich die Armen, die Leidenden, die Fremden und die Gefangenen die privilegierten Adressaten der Guten Nachricht sind. So hat er sich auf die Wege zu ihnen gemacht in den Unwegbarkeiten Madagaskars, sich bemüht um wohlverstandene Integration in den Missionen von Frankfurt und Wiesbaden, dann als Pfarrer von St. Elisabeth und Frauenfrieden, so war er unterwegs im peruanischen Regenwald, im Hochland Boliviens, in den Kaltzonen Chiles, in der Gefängnis- und Flüchtlingspastoral im andalusischen Algeciras und zuletzt noch als bereits schwer Erkrankter bei seinen Krankenbesuchen in Madrid. In all dem verstand er sich eben nicht als Extrasahne, sondern gut biblisch als Sauerteig.
 
Wenn das II. Vat. Konzil uns ins Stammbuch geschrieben hat: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Be-drängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen Widerhall fände“, dann ist das Luís Perspektive gewesen. Und er hat damit Menschen angesteckt, er hat den Geist dieser Gemeinde bewegt, weil er die Herausforderungen durch die Armen in den Mittelpunkt seiner Pastoral gestellt und uns animiert hat, unsere persönliche wie gemeindliche Praxis mit den Augen der Armen und Leidenden zu betrachten, zu prüfen und zu verändern. Ohne ihn wären die jahrzehntelangen Projektpartnerschaften mit Gemeinden im peruanischen Huaraz und das ja auch weiterhin laufende im bolivianischen Pitantorilla nicht vorstellbar. 
 
Am 7. Mai dieses Jahres hatten Lene und ich ihn im Haus von Elisa und Ingo in Madrid getroffen. Wir haben einen wunderschönen Abend verbracht, gut gegessen und getrunken, alte Geschichten erinnert und miteinander Lieder gesungen wie in der Frankfurter Zeit. Niemand von uns dachte daran, dass dieser Abend das letzte persönliche Treffen mit ihm sein würde.
 
Als ich vor ein paar Wochen von seiner Nichte Maribel die Nachricht erhielt, er sei in kritischem Zustand in die Klinik eingewiesen worden und ich sie anrief, hatte ich das Glück, dass  sie gerade bei ihm im Krankenhaus war und ihm das Telefon ans Ohr hielt: Mit bereits sehr geschwächter Stimme sagte er:“ No os preocupéis, estoy muy tranquilo“, macht Euch keine Sorgen, ich bin ganz ruhig.“ Ich bin zutiefst überzeugt, diese Ruhe gründete in seiner urchristlichen Doppelbindung: gehalten von Gott den Menschen hilfreich zu sein. Er wusste, dass es – auch wenn er dann noch seinen 80. Geburtstag auf der Intensivstation erlebte – bald zu Ende gehen würde. Und so starb er fast am Vorabend des 1. Advents, um in den großen Advent einzugehen, den Gott uns in Jesus zugesagt hat.
 
Er fehlt und wird bleibend fehlen. Uns bleibt nur, ihn in großer Dankbarkeit für sei-ne menschenfreundliche Gefährtenschaft dem Gott des Lebens anzuempfehlen und ihn in unseren Herzen zu bewahren. Que descanse en paz, agradecidos por su compañía le vamos a llevar por siempre en nuestros corazones! Amen.